Wir wollen Bildungshauptstadt werden

Rede anlässlich der Vorstellung des Wahlprogramms am 22. Juli 2012 in Stuttgart

Liebe Mit-Stuttgarterinnen und Mit-Stuttgarter,

liebe Mitglieder der Freien Wähler, der CDU, der FDP und der Piraten, liebe Mitglieder aller anderen Parteien, liebe Parteilose,

Sie dürfen heute etwas erleben, was sich hier in Stuttgart wirklich nicht gehört. Sie bekommen etwas vorgestellt, das nicht fertig ist. Es ist nur fast fertig. Was sich kein Autohersteller und kein Bäcker trauen würde, das möchte ich Ihnen vorstellen: Mein fast fertiges Bürger-Wahlprogramm für die Bürgerstadt Stuttgart. Es ist nicht dünn – es hat reichlich Seiten. Aber es ist dennoch nur fast fertig. Warum?

Ich möchte als Bürger im Amt des Oberbürgermeisters den Bürgerblick ins Rathaus bringen – und ich will den Bürgerblick auch in mein Wahlprogramm bringen. In einem ersten Schritt habe ich Sie, die Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts um Ihre Anregungen gebeten. Mit diesen Anregungen habe ich mich als parteiloser Bürger-Kandidat bei den Freien Wählern, der CDU und der FDP und den Piraten um Unterstützung beworben. Freie Wähler, CDU und FDP haben mich einstimmig oder mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit als Kandidaten gewählt. Bei den Piraten bin ich unter sechs Kandidaten auf den zweiten Platz gekommen. Ich begrüße Harald Herrmann, der noch einen Tabellenplatz besser war.

Manche haben gefragt, warum ich zu den Piraten gegangen bin. Ich wollte sie kennenlernen und – was mir ebenso wichtig ist – ich will Zeichen setzen, dass wir in der Stadt zu einem neuen Miteinander kommen.

Dann habe ich Ihre Anregungen vertieft. In den letzten Wochen und Monaten habe ich über 300 Termine gemacht und mit Hunderten wenn nicht Tausende Menschen gesprochen – mit Bürgern und Bürgermeisterinnen, mit Streifenpolizistinnen und Feuerwehrleuten, mit Langzeitarbeitslosen, mit Altenpflegern und Chefärzten, mit Drogenkranken, mit Betriebsleitern und Kassierern, mit Studenten, Managern und Handwerkern, mit Ruheständlerinnen und Kindererziehern, mit Vereinstrainern und Professorinnen, mit Journalisten, mit Pflegebedürftigen und Behinderten, mit Stadträten, mit Schülern und Eltern, mit Menschen aller Herkunft von Anatolien bis Zazenhausen.

Ich freue mich, dass viele von Ihnen heute hierhergekommen sind, um sich ein Bild davon zu machen, was aus Ihre Ideen, Anregungen und Empfehlungen geworden ist. Wenn Sie etwas wieder erkennen, darf ich mich bedanken, wenn nicht, müssen Sie es mir vielleicht noch einmal erklären.

Das Ergebnis möchte ich Ihnen jetzt vorstellen. Ich sage aber gleich, dass es noch nicht ganz fertig ist: Es ist deshalb noch nicht fertig, weil manche Meinung fehlt. Ich stelle heute als erster Kandidat mein Programm vor. Aber ich stelle es als Entwurf vor, damit Sie noch ausreichend Zeit haben, Verbesserungen zu machen. Ich bitte darum bis Mitte August. Dann werde ich pünktlich vor Beginn der heißen Wahlkampfphase unser gemeinsames Programm vorstellen.

Jetzt aber erst einmal der Entwurf.

Wer mit offenen Augen und Ohren durch Stuttgart geht, der spürt, dass unsere Stadt einer Sache überdrüssig ist: Stuttgart hat genug vom Streit. Jeder Stuttgarter hat in den letzten Jahren in seinem Freundeskreis, unter Bekannten und mit Kollegen erleben müssen, dass ein Streit uns alle belastet hat. Wenn wir über die Zukunft der Stadt sprechen, dann sprechen wir als erstes darüber, wie wir diesen Streit überwinden. Noch besser wäre, wir finden einen Weg, diesen Streit fruchtbar zu machen für die Zukunft der Stadt, für die Zukunft von Stuttgart als Bürgerstadt.

Der erste Schritt dazu ist der Schritt auf andere zu. Ich habe damit begonnen, ich habe es geradezu zu einem Prinzip meines Wahlkampfes gemacht. Mir sagen die erfahrenen Wahlkämpfer, dass ich viele Gespräche führe, bei denen ich nicht erwarten kann, Stimmen zu gewinnen. In der Zeit könnte man statt mit Gegnern auch mit Unentschlossenen sprechen und etwas für sein Wahlergebnis tun. Das mag sein. Wenn ich mit Gegnern spreche, gewinne vielleicht keine Stimme, aber es ist ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Miteinander.

Dieses neue Miteinander ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft unserer Stadt.

Heute ist Sonntag, dies ist eine Rede – da darf man vielleicht ausnahmsweise mal so einen Satz aus einer Sonntagsrede sagen.

Ich möchte aber auch gerne sagen, wo dieser Satz im Alltag seine Bedeutung hat. Lassen Sie mich dazu von einem wichtigen Infrastrukturprojekt sprechen, von dem unsere Zukunft abhängt. Ein Bauprojekt, das die Bevölkerung gespalten hat. Ein Bauprojekt, bei dem die Emotionen gekocht haben. Genau gesagt geht es um einen Umbau, eine grundlegende Modernisierung, die seit Jahren vorbereitet wird. Sie ahnen es schon, es geht um den Umbau des Kindergartens der Maximilian-Kolbe-Gemeinde in Stuttgart-Vaihingen. Dieser Kindergarten ist nötig. Wir brauchen dringend mehr Betreuungsplätze für unsere Kinder. Die Stadt hat große Beträge zur Verfügung gestellt – und sie können gar nicht ausgegeben werden. Bei diesem Kindergarten begegnet uns wie in einem kleinen Universum unser Alltagsproblem, zu viel Gegeneinander und zu wenig Miteinander.

Wenn in Stuttgart ein Kindergarten neu eröffnet werden soll, dann melden sich viele Nachbarn, weil sie dringend einen Platz für ihre Kinder suchen. Und es melden sich noch mehr Nachbarn, weil sie sich durch den Kinderlärm gestört fühlen. Heute tragen wir diese Konflikte auf dem Weg über die Behörden und die Gerichte aus. Und dann wundern wir uns über die überlastete Verwaltung, hohe Steuern und langsame Entscheidungen.

Wir müssen bei diesem Kindergarten und bei vielen anderen Aufgaben, bei denen wir uns nicht von Anfang an einig sind, zu einem Miteinander und zu einer besseren Verständigung kommen. Jeder Stuttgarter, der gegen eine Kindereinrichtung protestiert, ist in Wahrheit ein noch nicht gewonnener Vorlesepate, er und wir wissen es nur noch nicht. So gesehen liegt im Nachbarschaftsstreit auch immer die Chance auf eine Stärkung der Nachbarschaft.

Lassen Sie mich die beiden großen Herausforderungen beschreiben, vor denen Stuttgart in Zukunft stehen wird. Keine von ihnen hat mit einem Bahnhof zu tun.

Zweimal geht es darum, vorhandene Stärken weiter zu stärken.

In Stuttgart leben heute so viele Nationen und Generationen miteinander wie noch nie. Stuttgart gilt beim Zusammenleben als ein Vorbild in Deutschland. Und jedes Jahr wird Stuttgart ein wenig bunter und älter. Stuttgart ist ein Weltstädtle. Uns fehlen leider die genauen Statistiken, um das genau zu beschreiben und zu beurteilen. Ich nenne Ihnen deswegen die ungenauen, ja manchmal irreführenden Zahlen.

Heute haben rund 40 Prozent aller Stuttgarter einen Migrationshintergrund. In unseren Grundschulen haben über 60 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Wir wissen leider nicht, was die Zahlen über ihre Teilhabe und ihre Mitwirkung in unserer Gesellschaft sagen, wir wissen nicht einmal, was das über ihre Sprachkenntnis sagt. Wahrscheinlich wäre die beste Zahl, um uns die Aufgabe vor Augen zu führen, der Anteil der Menschen, für die Deutsch die zweite Sprache ist. Wir kennen diese Zahl nicht. So bleibt uns nur die Spekulation, dass ein hoher Migrantenanteil eine besondere Herausforderung für unser Gemeinwesen ist. Dabei sind viele Migranten besonders engagierte Träger unseres Gemeinwesens.

Wenn wir möchten, dass Stuttgart auch in zehn und zwanzig Jahren ein Gemeinwesen und kein Gegeneinanderwesen ist, dann müssen wir alle Gelegenheiten ergreifen, dass Kennen- und Schätzenlernen untereinander zu befördern. Es ist der beste Weg, um in Unterschieden Verbindendes zu finden.

Ich sehe zwei wichtige Motoren dafür, dass uns das Zusammenleben auch künftig gelingen kann. Das eine sind die Nachbarschaften, das andere die Bildung.

Für mich steht als erster wichtiger Baustein für das Stuttgart der Zukunft die Pflege und Rückgewinnung der Nachbarschaft. Wir wohnen in Stuttgart, aber wir leben in den Stadtvierteln. Die große Mobilität, die Zuwanderung und die steigende Lebenserwartung in unserer Gesellschaft haben die Nachbarschaften vor neue Fragen gestellt. Wir kennen uns weniger, wir haben vielfältigere Hintergründe, wir halten weniger zusammen, wir fahren weg zum Einkaufen und wir merken wie die Nachbarschaft und unser Wohlbefinden darunter leiden.

Wenn ich die großen Chancen für unsere Stadt betrachte, dann ist die Rückgewinnung der Nachbarschaft die erste. Wir brauchen neue Treffpunkte und auch neue Formen, um uns kennen und schätzen zu lernen. Lassen Sie mich ein Beispiel erzählen. Ein Mädchen wollte Kindergartenfreundinnen zum Geburtstag zu sich nach Hause einladen. Ihre Eltern wollten das nicht, die kleine Gastgeberin hat einen anderen Glauben und eine andere Muttersprache als ihr Kind. Da haben die Eltern des gemiedenen Kindes die kleinen Freundinnen und dazu deren Eltern eingeladen. Es wurde eine bereichernde Stuttgarter Begegnung der Kulturen und Generationen. Ist das eine Aufgabe für die Politik? Das weiß ich nicht. Aber es ist sicher eine Aufgabe für die Bürgerstadt.

In immer mehr Stadtbezirken dünnen die Geschäfte aus. Brauchen wir einen neuen Ladentyp, der mehr von einem Dorfbrunnen hat als von einem Getränkediscounter? Sind da vielleicht Kneipe und Kiosk, Obst und Gemüse, Vereine und Volkshochschule in einem Genossenschafts-Cafe-Laden beieinander? In der Mitte steht ein Runder Tisch oder sogar mehrere davon, an denen aus Kindergartenprotestierern Lesepaten werden können.

Die Nachbarschaften brauchen aber nicht nur einen Treffpunkt, sie brauchen auch – jede für sich – eine gemeinsame Zielvorstellung. Hier ergibt sich ein neuer Blick auf eine fruchtbare Bürgerbeteiligung. Ich wünsche mir, dass jedes Stadtquartier und jeder Stadtbezirk eine Vorstellung von seiner Zukunft entwickelt, um in der Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten einen gemeinsamen Kompass zu entwickeln.

Mir ist das in Bad Cannstatt aufgefallen. Ich war zu einem friedlichen Meinungsaustausch eingeladen. Plötzlich schloss sich der Kreis meiner Begleitungen um mich und mir wurde eine klare Forderung vorgetragen: Der Kursaal soll als Bürgerhaus dem Stadtbezirk übertragen werden. Und zwar sofort. Das sollte eine erste Amtshandlung sein. Wir haben dann ein ganz entspanntes Gespräch darüber geführt, welches Ziel sich Bad Cannstatt als Ganzes setzt und welche Rolle der Kursaal dann übernehmen kann. Wenn Bad Cannstatt sein gemeinsames, neues Ziel erreichen will, was kann der Kursaal dazu beitragen?

Der zweite Schlüssel, wie Vielfalt und Alter in unserer Gesellschaft sich zu unser aller Vorteil entwickeln können, ist die Bildung. In der Bildung kommen so viele Akteure zusammen, dass Eltern darüber nur verzweifeln können: Das Land und die Stadt, zum Teil auch der Bund, freie, kirchliche und staatliche Träger. Die Vielfalt ist eine Einladung, sich hinter anderen zu verstecken. Das Rathaus hat hier natürlich zunächst seine eigenen Aufgaben zu erfüllen. Der Ausbau der Kinderbetreuung und der Zustand der Schulgebäude bieten noch auf Jahre mehr als genug zu tun. Das soll und darf uns aber nicht daran hindern, uns ein großes, ehrgeiziges Ziel zu setzen.

Die Stadt und ich haben darin Erfahrung. Als vor rund einem Jahrzehnt gesagt wurde, Stuttgart sollte sich das Ziel setzen, die kinderfreundlichste Großstadt in Deutschland zu werden, da war den Beteiligten klar, was passieren würde: Schon ganz schnell würde vergessen sein, dass das Ziel ein Ziel ist und auf dem mühevollen Weg dorthin wird einem von vielerlei Seiten Unvermögen und Unaufrichtigkeit vorgehalten – aber es geht schneller voran, als wenn man sich kein ehrgeiziges Ziel setzt. Heute ist Stuttgart noch lange nicht die kinderfreundlichste Großstadt – aber Stuttgart ist viel kinderfreundlicher als vor 10 Jahren. Das rechtfertigt den Superlativ und deswegen nenne ich Ihnen hier und heute den Superlativ, der mir in meiner Amtszeit viel Ärger, aber uns allen große Fortschritte bringen wird. Wenn wir in der Bildung auf allen Feldern einen Sprung nach vorne machen wollen, dann müssen wir uns ein ehrgeiziges Ziel setzen. Für mich heißt das Ziel: Wenn Deutschland eine Bildungsrepublik werden will, dann wollen wir, dass deren Hauptstadt Stuttgart heißt. Stuttgart soll die deutsche Bildungshauptstadt werden. Das ist ein wichtiges Ziel für mich als Oberbürgermeister. Mir ist klar, dass jede eigene Bildungslücke künftig mit einem Eimer Häme übergossen wird. Aber die Sache ist es wert.

Ein herausragendes Bildungssystem hilft nicht nur, aus der Vielfalt an Herkunft ein Optimum an Chancengerechtigkeit zu machen. Es ist auch der Weg zu langfristig gesichertem Wohlstand. Unser Rohstoff heißt Hirn. Und unsere Fördertechnik heißt Bildung. Ein hervorragendes Ausbildungsniveau in der dualen Berufsbildung und in den Hochschulen erlaubt unserer Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und auch unserer Verwaltung ihren Innovationsvorsprung zu halten.

Sie haben richtig gehört. Ich meine, wir haben in der Verwaltung einen Innovationsvorsprung. Er erschließt sich nicht gleich, auch nicht überall, aber er ist eine weitgehend unerschlossene Ressource für unseren Wohlstand. Ich meine allen Ernstes, dass die Verwaltung ein Schlüssel ist für eine neue Stuttgarter Wachstumsbranche. Und die Branche heißt nicht Bürokratie!

Stuttgart hat vor einem Jahrhundert eine Wachstumsbranche entdeckt und darauf einen unvergleichlichen Wohlstand aufgebaut. Die Branche ist der Automobilbau und die ganze Welt beneidet uns darum. Damals wurde der Megatrend der Individualmobilität erkannt und von Gottlieb Daimler und Robert Bosch ermöglicht. Wir alle wünschen uns, dass die Automobilindustrie in Stuttgart vor einem zweiten Jahrhundert der Blüte steht. Jede Stadtverwaltung, die bei Trost ist, wird alles tun, damit dieser Motor unseres Gemeinwesens den Sprung in eine neue Ära der nachhaltigen Individualmobilität schafft.

Zugleich sollten wir schauen, ob wir heute einen neuen Megatrend erkennen können, der uns hilft, unser Wirtschaftsspektrum zu erweitern und zu verbreitern. Es gibt so einen Trend; er scheint wie gemacht zu sein für die Möglichkeiten von Stuttgart und ich möchte ihn hier verraten. Dieser Megatrend ist die Verstädterung, die Entstehung von Riesenstädten.

Letztes Jahr haben zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in den Städten als auf dem Land gelebt. Die Infrastukturbedürfnisse der Riesencities sind eine riesige Chance für die Stadt, die dafür die besten Lösungen anzubieten hat. Diese Stadt soll Stuttgart sein. Alle Zutaten, die wir dafür brauchen, sind da.

Wir haben innovative Amtsleiter und eine große städtische Nachfrage. Stuttgart gibt jedes Jahr Hunderte von Millionen für Investitionen in die Infrastruktur aus. Die Experten der Stadt Stuttgart entwickeln mit Dritten bereits Musterlösungen, die in der Welt als vorbildlich angesehen werden. Wir haben den technologie- getriebenen Mittelstand, der sein Know how auf die Stadttechnik übertragen kann.

Wir haben mit der Universität Stuttgart eine der führenden Stätten der Forschung und Lehre in diesem Feld. Wir haben bei Fraunhofer gleich mehrere Institute auf diesem Sektor und sogar die Steuerung des Projektes „Morgenstadt“ in Stuttgart.

Wir haben die Planungs-, Ingenieur- und Architektenbüros, die urbane Infrastruktur planen und steuern können. Und wir haben einen weltweit beachteten Schauraum, den wir in den nächsten zehn Jahren mit den klügsten Zukunftslösungen entwerfen können. Dieser Schauraum trägt den schönen Namen Rosenstein. Wenn Sie sich diese Vorstellung von einer neuen Branche noch nicht so recht vorstellen können, dann begleiten Sie mich zu einem Besuch in einem roten Haus hinter der Feuerwache in Bad Cannstatt. Dort findet sich seit sechs Jahren ein der weltweit führenden Verkehrsleitstellen. Sie wurde von unzähligen internationalen Delegationen besucht und in allen Variationen übernommen. Was glauben Sie, wie viele Export-Arbeitsplätze in Stuttgart aus dieser Pionierentwicklung in Stuttgart entstanden sind? Die Schätzungen reichen von null bis null. Dass wir unser geistiges Eigentum so wenig nutzen, das glauben uns nicht einmal die Piraten.

Was soll sich ändern? Ich möchte, dass sich die Unternehmen, die an der Entwicklung solcher Modellprojekte beteiligt sind, in Stuttgart ansiedeln – und dann die Verbreitung in alle Welt begleiten. Für die Stadtwerke und den Betrieb der Netze ergibt sich so ganz automatisch eine wesentliche Prüffrage bei der Vergabe: In welcher Konstellation erhalten wir einen technologischen Vorsprung, den wir in Stuttgarter Export-Arbeitsplätz umwandeln können? Weil sich Stadttechnik etwas langweilig anhört, nennen wir die Branche „Sustainable Infrastructure“ und nehmen die Bauwirtschaft noch dazu.

Die Stuttgarter haben davon nur Vorteile: Als Bürger dieser Stadt bekommen wir die beste Infrastruktur. Als Wirtschaftsstandort bekommen wir neue, innovative Unternehmen. Als Wissenschaftsstandort bündeln und lösen wir Zukunftsfragen. Und als Arbeitnehmer bekommen wir zusätzliche sichere Arbeitsplätze.

In jeder Stadt der Welt würde man an dieser Stelle ergriffen schweigen und sich auf den kommenden weiteren Wohlstand freuen. Aber wir sind hier in Stuttgart. Und deshalb geht jedem sofort durch den Kopf: Noch mehr Arbeitsplätze – das heißt noch mehr Stau, noch weniger bezahlbaren Wohnraum und noch mehr Engpässe bei der Kinderbetreuung.

Auch diese Fragen müssen gelöst werden. Ich möchte kurz skizzieren, wo ich Lösungsansätze sehe.

Wohnungen: Wir müssen – ehe die Flächen des Rosensteinviertels zur Verfügung stehen – die Reserven in der Stadt nutzen. Das sind die Dächer, das sind Baulücken und das ist mehr Tempo bei den Baugenehmigungen. Ich freue mich, dass die CDU-Fraktion jetzt gerade einen Antrag im Gemeinderat vorbereitet, um den Bearbeitungsstau im Baurechtsamt zu verringern. Ich möchte im gleichen Geist ein 1000-Dächer-Programm auflegen, damit schnell Bühnen ausgebaut werden können. Die komplette Erfassung aller Baulücken ist ein weiteres Instrument, um Wohnungsbau zu ermöglichen. Ein weiterer zu hebender Schatz sind Wohnungen, die leer stehen und nicht vermietet werden, weil die Vermieter sich vor Mietnomaden und anderen Risiken fürchten. Hier wären gemeinsam mit den entsprechenden Verbänden privatwirtschaftliche Mietausfallversicherungen zu diskutieren.

Verkehr: Auch die klügste Verkehrspolitik kann Stuttgarts Topografie nicht ändern – sie stellt eine unvergleichliche Herausforderung dar. Um den Stau und die Umweltbelastung des Verkehrs zu reduzieren, sind viele Aufgaben zu bearbeiten. Am wünschenswertesten ist die Vermeidung von Verkehr. Dazu zählt die Parkplatzsuche und das „Taxi Mama“, das bei verbesserten Parkplatzangeboten und Nachmittagsangeboten in der Schule weniger nötig ist. Der weitere Ausbau des ÖPNV kann die erfreulichen Steigerungsraten der ÖPNV-Nutzung in Stuttgart fortschreiben helfen und Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Wichtig ist auch, Verkehr zu verflüssigen durch Leitsysteme und Telematik; neue Antriebe können zwar nicht den Stau reduzieren, aber wenigstens Lärm und Staub.

Betreuung: Wir sollten der Fülle an Anbietern Anreize bieten, den Bedarf der Eltern so schnell und so gut wie möglich zu bedienen. Konkret sollten freie und kirchliche Träger bei sehr guter Qualität ihre öffentlichen Mittelzuwendungen erhöhen können und Anreize für die Schaffung zusätzlicher Gruppen zu erhalten. Erziehern sollten durch Gehaltsverbesserungen und Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zusätzliche Gründe geliefert werden, um sich für Stuttgart zu entscheiden.

Der Sonntag ist zwar noch lang, aber ich möchte mich in meinem hier vorgetragenen fast fertigen Programm auf die wichtigsten Fragen beschränken. Auch wenn ich parteilos bin und noch nie zuvor ein Wahlprogramm verfasst habe, ist mir doch klar, dass ich hier nur die Wahl zwischen zwei Übeln habe. Wenn ich alle Detailpunkte vortrage, gehen die Schwerpunkte unter – und Sie schlafen ein. Wenn ich nicht zu allen Politikfeldern spreche, bekomme ich bei allem, was nicht erwähnt ist, zu hören ich sei ignorant oder plane die komplette Streichung.

Liebe Interpreten dieses Wahlprogrammes, so ist das nicht gemeint. Nur weil die Worte Frieden und Freiheit nicht mehrfach auftauchen, sind Frieden und Freiheit nicht gefährdet. Nur weil das Staatschauspiel oder der neue Bahnhof nicht erwähnt sind, heißt das nicht, dass sie infrage gestellt sind. Ganz im Gegenteil. Ich bin der einzige Kandidat, der für Staatsschauspiel und Durchgangsbahnhof ist – trotz aller Diskussionen um bautechnische Fragen. Sie finden zudem mehr Inhalte im Wahlprogramm, das ab sofort online auf der Wahlkampfwebsite angesehen werden kann. Für die hervorragende Zusammenarbeit und Unterstützung möchte ich Ihnen allen für unsere Gespräche und Anregungent Die Langfassung ist ein richtiger Papierstapel geworden. Man kann es aber auch ganz kurz sagen:

Stuttgart bleibt Weltstädtle, wird Bildungshauptstadt und wir schaffen eine „sustainable infrastructure“, die wir dann in die ganze Welt verkaufen. „Sustainable Infrastructure“ heisst übersetzt: Des gibt a super Infrastruktur!

Stuttgart steht nach vierzig Jahren unter Manfred Rommel und Wolfgang Schuster glänzend da, so gut wie kaum eine andere Stadt in Europa. Stuttgart ist auf so vielen Feldern erstklassig, dass das ehrgeizigste Programm heißt: Stuttgart soll in acht Jahren auf so vielen Feldern so gut dastehen wie heute. Das wird schwer genug.

Ich will Ihnen aber nicht nur sagen, was ich vorhabe, sondern auch noch verraten, wie uns das gelingen soll:

Miteinander.
Mit Freude.
Und mit Erfolg – am 7. Oktober.

Vielen Dank.